Die feinen Unterschiede: „weibliche“ und „männliche“ Gehirne

Wissenschaft

Verschiedene Blicke auf das männliche Gehirn.

Es gibt kein besseres Smalltalk-Thema als die Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Jeder kann eigene Erfahrungen und Hypothesen einbringen, warum Frauen besser einparken können und Männer immer Schuhe kaufen. Oder war es umgekehrt? Kaum ein Gebiet ist so besetzt von Halbwahrheiten, Mythen und Legenden. Zwei neue Bücher beleuchten jetzt die Unterschiede der Geschlechter aus neurologischer Sicht. Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther und die US-Psychiaterin Louann Brizendine befassen sich auf sehr unterschiedliche Weise mit dem männlichen Gehirn.

Musik Männer…
Welche Frau würde nicht gerne wissen, wie Männer wirklich ticken. Warum reden sie lieber über Fußball, als über Gefühle und warum glauben sie, die besseren Rückwärtseinparker zu sein?
Louann Brizendine versucht, zu helfen. Ihr erklärtes Ziel ist es, Missverständnisse zwischen Frau und Mann abzubauen. Ihre grundlegende Erkenntnis lautet …. Überraschung! Männer denken immer oder jedenfalls meistens nur an das EINE:

O-T Brizendine
„one of the things that ist easy to know on a males brain —often if he has a high testosteron level is that he thinks about females and female body parts and sex often from the age of about 15 years old on and maybe even a bit younger than that and that thinking is particulary and normal for a man to do

Übersetzung: Eine Sache , die einleuchtet beim Gehirn eines Mannes: dass er oft , wenn er einen hohen Testosteronspiegel hat an Frauen denkt, an weibliche Körperteile und an Sex- ab einem Alter von etwa 15 oder etwas jünger- das ist normal für einen Mann.. “

Testosteron ist für Brizendine der heimliche Herrscher im Männerkopf. Die Autorin, die in San Francisco eine Hormonklinik betreibt, nennt diesen Treibstoff „Zeus, den Gott der Hormone“. Nach ihrer Darstellung überschwemmt er das männliche Gehirn von der Pubertät bis ins hohe Alter nicht nur mit Sexfantasien, sondern sorgt auch für Revierverhalten, Dominanzstreben und Aggressivität.

Doch solche Aussagen entsprechen nicht dem Stand der Wissenschaft. Gene und Hormone wie es Brizendine nahelegt, sind nicht die heimlichen Herrscher unseren Köpfen. Diese Sicht gehört ins 20. Jahrhundert und gilt heute als überholt. Ein erhöhter Testosteronspiegel erhöht zwar die Libido – bei Männern wie bei Frauen. Aber auch wenn Männer bereits im Mutterleib ein Bad darin nehmen- Testosteron wirkt nicht wie der gallische Zaubertrank bei Obelix. Dass es Männer zu Schlägern und Despoten macht, wurde zwar oft verbreitet, aber nie bewiesen.

Allerdings stehen im Buch von Louann Brizendine auch andere Dinge. Sie räumt ein, dass das männliche Gehirn sehr stark von seinen Nutzungsbedingungen geprägt wird.

OT Brizendine
„One thing to note is that its very important that we are not slaves to our brain structure at all, because our brain structures changes with cultural education with the way we raise with the way we were trained …We reshape our brains all the times based on what happens in the experiences of our lifes.

Übersetzung: Es ist sehr wichtig zu wissen, dass wir nicht die Sklaven unserer Gehirnstrukturen sind, weil diese sich ändern durch kulturelle Einflüsse, durch die Art, wie wir aufwachsen, erzogen werden. … wir bauen unser Gehirn ständig um, abhängig davon, welche Erfahrungen wir im Leben machen.“

Noch besteht also Hoffnung: Jeder Mann kann danach auch seine „weibliche“ Seite entwickeln.
Aber Aussagen wie diese werden übertönt vom Humba-Humba wissenschaftlicher Volksmusik. Brizendine vermischt Fakten mit Folklore und populären Vorurteilen. Das Ganze wird mit vielen Anekdoten angereichert und mit Hunderten von Fußnoten garniert. So werden Bestseller produziert – und typisches Halbwissen vermittelt.

Das wissenschaftlich exakte Buch zum Thema liefert der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther und schafft es dabei ohne eine einzige Fußnote auszukommen. In der Tat kommen Jungen und Mädchen mit einem etwas anders strukturierten Gehirn auf die Welt:

OT Hüther
Wenn man ein Bild dafür wählt, könnte man sagen, dass ist praktisch die gleiche Orchesterbesetzung in diesem Hirn, aber die Pauken und Trompeten sind eher in dir vorderen Reihen gerückt und die harmonischen Instrumente mehr nach hinten.

Hüther begnügt sich nicht damit, Unterschiede zwischen Mann und Frau aufzuzählen, sondern fragt nach dem Warum und dem Wie. Die Ursache findet er in der frühesten Entwicklungsphase: Jungen haben während der Schwangerschaft und nach der Geburt eine schwächere Konstitution als Mädchen.

OT Hüther
Die Jungs sind also gewissermaßen deshalb das schwächere Geschlecht und die suchen nach mehr Halt im Außen, die orientieren sich viel stärker im Raum. Sie versuchen dann auch immer sich zu orientieren an Halt bietenden äußeren Gegebenheiten also große Gestalten, Maschinen, deshalb lieben diese Jungs im Durchschnitt immer diese großen Feuerwehrautos.

Damit sind Jungen aber nicht auf einer entwicklungsbiologischen Einbahnstraße unterwegs, sagt Hüther. Für ihn heißt der zentrale Begriff der Gehirnentwicklung: Selbstorganisation.
Jeder Mensch baut sich sein eigenes Gehirn auf: Je nach Nutzung entstehen Autobahnen und Sackgassen; extrem stark vernetzte Zentren und weiße, nie betretene Flecken auf der inneren Landkarte. Vieles, was als typisch männlich gilt, ist danach nicht biologisch vorgegeben, sondern vielmehr das zu einer bestimmten Zeit gesellschaftlich dominante Männermodell. Hüther, der seinen pädagogischen Ansatz nicht verleugnet, ruft vor allem die Männer auf, den kleinen Jungen von heute ein neues Rollenmodell anzubieten. Eines, das inneren Halt bietet und die Krücken traditioneller Männlichkeit nicht mehr benötigt.