Ich habe Slavoj Zizek auf der Leipziger Buchmesse getroffen. Der weltberühmte Philosoph gab mir ein Interview in der Kaffeküche des Ullstein-Verlags, auf einer Getränkekiste sitzend. Ein sehr sympathischer Auftritt! Zizek sprach über seinen Essay „Islam und Moderne“ und erläuterte einige seiner Thesen. Hochspannend ist seine Lektüre der heiligen Texte mithilfe der Psychoanalyse Lacans. Eine überraschende Schlussfolgerung Zizeks lautet: Der Islam bietet ebenso wie das Christentum ein Modell einer egalitären Gesellschaft an.
Frage:
Herr Zizek, was hasst der terroristische Islamismus am westlichen Liberalismus?
Slavoj Zizek:
Dieser Hass ist sehr ambivalent. Es ist nicht einfach Hass auf unseren Lebensstil, es ist gleichzeitig auch eine tiefer Neid. Vielleicht glauben sie paradoxerweise mehr an uns, als an sich selbst. Ich unterscheide auch zwischen den echten Fundamentalisten und den Terroristen. Ich habe mit tibetischen Buddhisten und mit US-amerikanischen Amish gesprochen- ich will diese sicherlich nicht idealisieren-: beide sehen uns zwar auch auf dem falschen Weg – aber ohne Neid. Sie spüren eigentlich keinen Hass auf uns, sondern sie sind indifferent. Die Terroristen dagegen sind selbst verunsichert: Sie glauben eigentlich gar nicht an sich selbst! Diese Mischung aus Hass und Neid ist bezeichnend: Dazu passt sehr gut ein Zitat von Chomeini, auf das ich gestoßen bin, nachdem ich das Buch veröffentlicht hatte. Er sagte: Wir brauchen uns nicht vor der Kriegsmaschine des Westens zu fürchten und auch nicht vor der ökonomischen Macht; sondern vor der moralischen Verkommenheit müssen wir uns fürchten! Aber so etwas gibt es ja nicht nur im Islam, sondern auch bei anderen. Erinnern Sie sich : Vor zwei Jahren, als Conchita Wurst den European Song Contest gewann: Das hat zum Beispiel bei Präsident Putin zu der Reaktion geführt: „In der Bibel steht, es gibt zwei Geschlechter – und soll das jetzt ein drittes sein?“ Die Konsequenz aus all dem ist sehr traurig: Schauen Sie auf Boko Harram: Nehmen die Leute war, was für eine sonderbare Sache dort geschieht? Wir haben eine politische, soziale Bewegung, deren Grundüberzeugung lautet: „Der einzige Weg aus unserer Krise ist: Frauen sollen auf ihrem Platz bleiben, ohne Bildung, usw, usw“. Ich glaube, es ist ein sehr komplexes Phänomen; es ist definitiv nicht einfach mittelalterlich, es ist ein modernes Phänomen! Die echten mittelalterlichen Typen sind die Saudis, die perfekt mit dem Kapitalismus klarkommen.
Frage:
Kann es überhaupt ein friedliches Zusammenleben geben zwischen dem radikalen Islamismus und dem westlichen Liberalismus?
Slavoj Zizek:
In der aktuellen Konstellation – nein. Zuerst sollten wir zu Kentnnis nehmen, dass der radikale Islamismus in vielen Regionen die Position der früher dort existierenden säkularen Linken besetzt hat. Wir sollten nicht in solchen Begriffen denken im Sinne von Wir sind hier – Sie sind dort. Nein!
Die einzige Koexistenz sehe ich in einem gemeinsamen Kampf; unsere Probleme könnten verbunden werden mit ihren Problemen -nicht im Sinn der Islamisten- aber unter dem Stichwort: Unzufriedenheit der arabischen Bevölkerung- ihre Kämpfe könnten verbunden werden mit unseren Kämpfen. Wir sollten nicht über einen „Kampf der Kulturen“ sprechen, sondern über „Kämpfe innerhalb von Kulturen“ – schauen Sie z.B. nach Indien: Dort gibt es eigene Kämpfe der niederen Kasten gegen höheren Kasten, dort werden Dschungelgebiete erschlossen und die Bauern haben sich in maoistischen Organisationen zusammengeschlossen. In unsereren Medien finden Sie nichts darüber, dass in Indien derzeit eine Million Guerillakämpfer aktiv sind – nichts!
Frage:
Liegen die Ursachen für islamistischen Terror mehr im Kapitalismus oder mehr im Islam selbst?
Slavoj Zizek:
Beides! Ich kaufe diesen Quatsch nicht ab, zu sagen, der Islam ist eine wundervolle Religion und wird missbraucht- Nein! Das gilt übrigens auch für den Kommunismus oder das Christentum: Da gibt es überall Einfallspforten für Gewalt – andererseits ist klar, dass der neue Fundamentalismus eine Reaktion ist auf den anhaltenden Prozess der Globalisierung. Das passiert aber nicht nicht nur in arabischen Ländern- auch die USA haben ihren eigenen christlichen fundamentalistischen Terrorismus. Also die eigentlich Frage, die wir uns im Westen stellen müssen ist: Was ist es im heutigen globalisierten Kapitalismus, das Menschen in den Fundamentalismus treibt?
Frage:
Ich habe noch zwei theologische Fragen. Der Koran ist eher opferfeindlich im Vergleich z.B. zum alten Testament. Wie passt das zur grausamen Praxis der Terroristen?
Slavoj Zizek:
Es fasziniert mich, wie inkonsistent alle großen Religionen sind: Schauen Sie auf das Christentum, da heißt es, wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, halt ihm die linke hin – und auf der anderern Seite sagt Christus, ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen sondern das Schwert.
Der Islam wiederum hat in seiner schlimmsten Verkörperung, der Unterdrückung der Frau, ein mehrdeutiges Frauenbild.
Denn wenn Sie genau hinschauen, sehen sie dass der Islam sehr stark an die Macht von Frauen glaubt und gleichzeitig gibt es die Angst davor. Schauen Sie: Es ist Teil der islamischen Tradition, dass ein Mann nur durch eine Frau ein großer Mann werden kann. So war es bei Mohammed: Als er Visionen bekamm, dachte er, er sei verrückt und erst durch die Bestätigung seiner Frau gelangte er zum Glauben, dass das Gottes Stimme sei. Sogar im schlimmsten Fall, wenn sie Frauen so behandeln wie Boko Harram, ist es nicht so eindeutig: denn verdeckt unter diesem Hass auf Frauen ist vielleicht die sehr viel tiefere Wahrheit, wie mächtig und stark Frauen sind.
Es ist also alles nicht so einfach. Es ist nicht schwarz und weiß. Wir alle sind in uns zutiefst mehrdeutig!
Frage:
„Allah ist kein Vater“ – schreiben Sie in Ihrem Buch und konstatieren eine „genealogische Wüste“ zwischen Allah und den Gläubigen. Könnten Sie auf diese Feststellung und deren politische Konsequenzen noch kurz eingehen?
Slavoj Zizek:
Das ist die Basis des Konzepts, das wir üblicherweise als potentiell totalitär ansehen, der Umma , der „Religionsgemeinschaft“ (im Original deutsch;PS).
Aber es bedeutet in Wirklichkeit einen klaren Raum für Freiheit, weil Gott sich heraushält.
Mohammed war Waise. Er hatte keine Eltern. Die Idee dahinter ist: Wir alle sind zusammengeworfen; wir können uns nicht auf traditionelle hierarchische Strukturen stützen. Wir haben einen freien Raum, gesellschaftliche Strukturen zu erfinden. Das ist eine wundervolle Konsequenz. Nur der Islam geht so weit. Aber es gibt auch im Christentum egalitäre Elemente: Im Grunde ist das auch dasselbe was der heilige Geist bedeutet. Ich mag z.B. diese Passage in der Bibel, wo Jesus sagt, nur wer mich mehr liebt als Vater und Mutter kann mein Jünger sein. Das bedeutet:
„Heiliger Geist“ ist wie die Umma, der Glaube daran, dass eine egalitäre soziale Gruppe möglich ist, die nicht auf Hierarchie oder Tradition gegründet ist.
Deshalb sage ich auch gern: Der heilige Geist ist die Urform der kommunistischen Partei… Das ist etwas ganz Einzigartiges. Buddhismus z.B. ist zwar auch egalitär, aber auf einem abstrakten Level, jeder kann das Nirvana erreichen. Das Problem ist aber, hier auf der Erde eine egalitäre Gesellschaft hinzubekommen.
Um nochmal auf das Zitat zurückzukommen, „Allah ist ein ferner Gott“, das bedeutet in einem anderen Sinn, jeder kann entscheiden, ob er glaubt oder nicht. Im Islam hält Gott Abstand, es gibt die religiöse Privatsphäre.
Sie sehen also, es gibt keine einfachen Antworten. Und meine Aufgabe ist es die Dinge in ihrer Kompexität zu zeigen, nicht, einfache Lösungen parat zu haben.